Mittwoch, 27. August 2014

Tom à la ferme

"Tom à la ferme" ist ein Film von Xavier Dolan aus dem Jahr 2013. Das Drehbuch schrieb Dolan zusammen mit Michel Marc Bouchard, dem Autor des gleichnamigen Theaterstücks. Xavier Dolan selbst ist hier nicht nur als Regisseur und Drehbuchautor tätig, sondern auch als Produzent und Hauptdarsteller und zuständig für den Schnitt und die Kostüme. Dies ist sein vierter Spielfilm und wie man aus der Vergangenheit weiß, meistert er diese Aufgaben perfekt. Die Musik stammt von Gabriel Yared, der Kameramann war André Turpin.

Der Mittzwanziger Tom (Xavier Dolan) kommt aus Montreal nach Québec aufs Land, um an der Beerdigung seines Lebensgefährten Guillaume teilzunehmen. Auf dem Hof von Guillaumes Familie trifft er zunächst auf dessen Mutter Agathe (Lise Roy), die nichts von Tom weiß und anscheinend noch nicht einmal etwas von der Homosexualität ihres Sohnes wusste. Agathe lebt dort zusammen mit ihrem anderen Sohn Francis (Pierre-Yves Cardinal), dem älteren Bruder von Guillaume, den dieser aber nie erwähnt hat. Tom gibt sich Agathe gegenüber lediglich als Freund und Kollege Guillaumes aus und wird noch in der ersten Nacht von Francis brutal dazu genötigt, auch bei dieser Version zu bleiben.

Der Mutter wird weiter vorgelogen, Guillaume hätte eine feste Freundin gehabt, seine Kollegin Sarah (Evelyne Brochu), die aber natürlich nicht zur Trauerfeier erscheint. Agathe ist deswegen außer sich. Aus gutem Grund kann Tom seine geplante Trauerrede nicht halten, um sich nicht zu verraten. Agathe erweist sich als sehr verständnisvoll, während Francis zunehmend die Nerven verliert. Die Fassade soll erhalten werden und Tom wird gezwungen, seinen Aufenthalt auf der abgelegenen Farm zu verlängern. Er schlüpft sozusagen in die Rolle seines verstorbenen Geliebten und nimmt dessen Platz in der Familie ein. Doch unter der Oberfläche brodelt es gewaltig, denn Francis erweist sich immer mehr als brutaler Zeitgenosse, dessen Verhältnis zu Tom zwischen Ablehnung und Zuneigung schwankt.

Tom muss einiges einstecken, doch eine Flucht kommt für ihn zunächst noch nicht in Frage. Er findet Gefallen an dem Familien- und Landleben und scheinbar auch an den Erniedrigungen durch Francis. Die beiden Männer kommen sich gefährlich nahe, es entwickelt sich ein perfides Spiel zwischen ihnen. Doch dann erscheint die ahnungslose Sarah, von Tom herbeigerufen, und die Situation wird explosiv.

Francis hat inzwischen das Auto von Tom zerlegt, Agathe reagiert gereizt auf die gefühllose Freundin ihres verstorbenen Sohnes und Tom erfährt im Ort, warum Francis überall ausgegrenzt wird. Nun wird es höchste Zeit, die Farm zu verlassen.

Xavier Dolan hat diesen Film nach seinem vorherigen Drama "Laurence Anyways" als leichte Fingerübung für zwischendurch und in sehr kurzer Zeit gedreht. Herausgekommen ist erneut ein ausgesprochen sehenswerter und sehr spezieller Film, der den Zuschauer von Beginn an packt. Die Atmosphäre ist perfekt eingefangen, die Bilder der Landschaft um den Hof der Familie sind grandios. Bei aller Beschaulichkeit spürt man die latente Bedrohung in jedem Bild, auch wenn sie sich nicht wirklich fassen lässt.

Die Schauspieler sind exzellent, neben Xavier Dolan, der hier erneut sein Können zeigt, sind es vor allen Dingen Lise Roy als verzweifelte Mutter, die wohl mehr weiß, als sie zugibt, als auch Pierre-Yves Cardinal als brutaler und grobschlächtiger Bruder, die vollkommen überzeugen können. Sie alle sind wunderbar anzuschauen und verleihen ihren Rollen echtes Leben.

Die Bilder sind ebenfalls wunderbar, die Weite des Landes, die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Tom und Francis, sowie ein Tango der beiden Männer in einer leeren Scheune. Mitunter reine Poesie, aber auch immer kraftvoll und irgendwie bedrohlich. Muss man selbst sehen, das kann man nicht in Worte fassen.

"Tom à la ferme" ist ein Film, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Noch ein Wort zum Titel, überall wird der Film unter diesem auch vertrieben, sei es dann auch in der jeweiligen Landessprache, wie z. B. als "Tom at the Farm". In Deutschland läuft er aber als "Sag nicht, wer du bist!". Wieso eigentlich?  Soll das mehr Zuschauer anlocken? Ich finde diese Entscheidung ziemlich albern, den Film aber nicht, der ist sensationell. Ganz große Empfehlung.


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