"Die Wohnung" - "Ha-dira" ist ein Dokumentarfilm von Arnon Goldfinger (Regie und Drehbuch) aus dem Jahr 2011.
Gerda Tuchler war die Großmutter von Arnon Goldfinger und ist im Alter von 98 Jahren verstorben. Die Familie macht sich nun daran, die Wohnung in Tel Aviv aufzulösen, in der Gerda Tuchler siebzig Jahre gelebt hat. In den 1930er Jahren aus Deutschland emigriert, sind Gerda und Kurt Tuchler in Israel nie wirklich heimisch geworden. Arnon Goldfinger und seine Mutter Hannah sichten den Nachlass und finden Spuren einer Geschichte, von der sie keine Ahnung hatten.
In siebzig Jahren sammelt sich so einiges an, besonders wenn man, wie Gerda Tuchler, nichts wegwerfen kann. Anfangs ist die Familie noch amüsiert über den Schnickschnack, den sie vorfindet. Kleidung, alte Pelze, Schuhe und unzählige Handschuhe gehören ebenso dazu, wie auch eine umfangreiche deutsche Bibliothek. Doch nach und nach kommt da immer mehr zum Vorschein. Alte Briefe und Fotos, die bisher niemand zur Kenntnis genommen hat, Zeitungsausschnitte aus der Zeit aus Berlin und vieles mehr. Und es tun sich Fragen auf, die niemand mehr beantworten kann.
Arnon Goldfinger hat fünf Jahre lang an diesem sehr persönlichen Film gearbeitet, der mit der Zeit immer größer und bedeutender wurde. Man merkt ihm an, wie sehr ihn das alles mitgenommen hat und auch wie sehr es ihn verunsichert hat. In erster Linie geht es hier um die Freundschaft seiner Großeltern zu dem deutschen Baron von Mildenstein und seiner Frau, die schon vor dem Krieg begann und auch nach Kriegsende fortgesetzt wurde. Ein ehemaliger Nazi als Freund einer jüdischen Familie? Wie konnte das sein und warum wusste niemand etwas darüber?
Es gelingt Arnon Goldfinger, die Tochter von den von Mildensteins aufzuspüren, die sich noch gut an dessen Großeltern erinnern kann. Mehrfach seien sie nach Kriegsende bei ihnen in Deutschland zu Besuch gewesen und sie hat nur die besten Erinnerungen daran. Es sei immer alles sehr fröhlich und unbeschwert gewesen. Der verblüffte Arnon Goldfinger, für den das alles Neuland ist, fragt Edda von Mildenstein nach dem Beruf ihres Vaters. Die beginnt daraufhin etwas herumzueiern, er wäre ja ursprünglich Ingenieur gewesen, dann Journalist, besonders Reisejournalist, aber mehr wisse sie auch nicht. Er war halt viel im Ausland. Über seine Rolle in der SS wisse sie nichts und darüber gebe es auch keine Beweise.
Arnon Goldfinger konfrontiert Edda mit Unterlagen aus dem Bundesarchiv und mit einem handgeschriebenen Lebenslauf ihres Vaters, die das Gegenteil beweisen, aber die Abwehr der Tochter bleibt bestehen. Welche Rolle von Mildenstein tatsächlich gespielt hat, lässt sich wohl nicht mehr herausfinden.
Das Schweigen der Opfer und der Täter behindert die Aufklärung vieler Dinge, nicht nur in diesem Fall. Eine alte Freundin von Gerda Tuchler stellt die entscheidende und wichtige Frage: "Warum stellt in Deutschland erst die dritte Generation Fragen?" Dem ist nichts hinzuzufügen, denn vieles wird nicht mehr ans Licht kommen, weil die Beteiligten alle nicht mehr am Leben sind und nicht mehr gefragt werden können.
Hier wird man jedenfalls Zeuge einer aufregenden Spurensuche, die der Regisseur Arnon Goldfinger sehr überzeugend verfilmt hat. Am Ende suchen er und seine Mutter auf dem jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin nach einem Grab eines ihrer Vorfahren, das sie aber nicht finden können. Es bleibt vieles im Unklaren, aber es wurde auch sehr viel gefunden, mit dem niemand gerechnet hätte. Ganz große Empfehlung für diesen außergewöhnlichen Dokumentarfilm.
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