"Michael" ist ein Film von Markus Schleinzer (Regie und Drehbuch) aus dem Jahr 2011 und gleichzeitig sein Regiedebüt. Der Film befasst sich sehr mutig mit dem Thema Kindesmissbrauch und das auch noch in sehr spezieller Form.
Der etwa fünfunddreißigjährige Michael (Michael Fuith) arbeitet bei einer Versicherung, ist ein stiller und fast schon unscheinbarer Mensch, der allerdings kaum soziale Kontakte hat. Wenn er nach Hause kommt, fährt er sein Auto in die Garage, lässt die Rolläden herunter und bereitet das Essen zu. Er deckt den Tisch für zwei Personen, denn er lebt nicht allein. Im Keller seines Hauses, hinter einer gesicherten Tür hält er den zehnjährigen Wolfgang (David Rauchenberger) gefangen.
Wie lange der Junge schon bei ihm ist, darüber kann man nur spekulieren, ein paar Jahre können es schon sein. Es gibt eine gewisse Alltagsroutine zwischen ihnen, auch wenn klar ist, dass Michael den Jungen immer wieder sexuell missbraucht. Nach dem Essen sieht man sie zusammen beim Abwaschen, sie sehen zusammen fern, sie feiern gemeinsam Weihnachten, singen auch Weihnachtslieder. Es gibt sogar einen Ausflug in den Streichelzoo. Bei all dieser "scheinbaren" Normalität gefriert einem das Blut in den Adern, weil alles so perfekt arrangiert ist.
Michael versucht sogar, einen zweiten Jungen zu entführen, wohl als Spielkamerad für Wolfgang, was aber in letzter Sekunde scheitert. Ein unaufmerksamer Vater hatte doch noch rechtzeitig nach seinem Kind Ausschau gehalten. Wolfgang bleibt auch schon mal tagelang im Keller allein, als Michael im Krankenhaus liegt oder auch mal zum Skifahren weg ist. Mit einem Wasserkocher kann er sich Fertigsuppen zubereiten und einen kleinen Fernseher hat er auch in seinem Gefängnis.
Irgendwann kann und will sich der Junge aber nicht mehr alles gefallen lassen und greift Michael an, mit schlimmen Folgen für alle Beide.
Dieser Film ist ausgesprochen unangenehm, was bei diesem Thema nicht anders zu erwarten ist, aber auch extrem sehenswert. In sehr ruhigen Bildern, mit wenig Dialogen und ganz ohne jede Wertung zeigt Markus Schleinzer hier die Banalität des Bösen. Er greift ein Tabu auf, ein gerne totgeschwiegenes Thema, das zwar immer mal wieder in den Medien auftaucht, aber auch schnell wieder unter den Teppich gekehrt wird. Er zeigt den Täter, ohne zu urteilen, was dessen Taten nur noch stärker in den Vordergrund rückt. Michael ist ein zutiefst einsamer Mensch, der sich eine Art "Beziehung" mit dem Jungen aufbaut, die es sonst für ihn nicht gibt.
Gerade für diese Herangehensweise an das Thema muss man Markus Schleinzer dankbar sein. Den Film nur aus der Sicht des Opfers zu erzählen, hätte nicht diesen Effekt gehabt. Bedanken kann sich der Regisseur bei seinen beiden grandiosen Hauptdarstellern, die diese schwierigen Rollen perfekt ausfüllen.
Markus Schleinzer hat bisher vor allem als Casting-Direktor gearbeitet, unter anderem für Michael Haneke, Ulrich Seidl, Jessica Hausner und Benjamin Heisenberg. Alles große Namen und gleichzeitig auch hervorragende Regisseure, die ihn anscheinend sehr geprägt haben. Zum Glück, wie ich behaupten möchte. Als Extra gibt es auf der DVD noch ein Statement von Markus Schleinzer zu seinem Film, in dem er in ca. 45 Minuten seine Motivation für dieses Projekt darlegt. Das darf man nicht verpassen, das ist mindestens noch mal so gut wie der Film selbst. Meine Hochachtung für dieses Regiedebüt und für diesen Regisseur, mehr kann ich nicht sagen. Unbedingt sehenswert, auch wenn es schmerzt.
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