Freitag, 13. August 2010

Der siebente Kontinent

"Der siebente Kontinent" ist der erste Kinofilm von Michael Haneke (Regie und Drehbuch) aus dem Jahr 1989 und gleichzeitig der Beginn einer Trilogie über die emotionale Vergletscherung in der Wohlstandsgesellschaft.


Anna (Birgit Doll) und Georg (Dieter Berner) sind zusammen mit ihrer kleinen Tochter Eva (Leni Tanzer) eine scheinbar ganz normale und sorgenfreie Familie in einem bürgerlichen Umfeld. Annas Mutter ist kürzlich verstorben und es hat eine kleine Erbschaft gegeben. Annas Bruder Alexander (Udo Samel), mit dem Anna zusammen ein Optikergeschäft führt, leidet noch unter dem Tod der Mutter. Georg hat einen neuen Posten in einer großen Firma übernommen, kommt aber mit seinem Vorgesetzten anscheinend nicht besonders gut aus. Dieses erfahren wir aus den Briefen, die Anna an ihre Schwiegereltern schreibt. Diese Briefe vermitteln jedoch in ihrer knapp und eher kühl gehaltenen Art den Eindruck, als gäbe es keinerlei Probleme. Tatsächlich sind die Probleme auch nicht wirklich sichtbar, sondern für Anna und Georg einfach nur erdrückend. Die Alltagsroutine frisst die beiden auf und sie verzweifeln am Leben.

Der Film ist in drei Abschnitte unterteilt. Teil 1 und 2 zeigen jeweils einen Tag aus dem Jahr 1987 und 1988. Teil 3 spielt im Jahr 1989 und beschäftigt sich mit dem minutiös geplanten Selbstmord der Familie. Georg kündigt seinen Job und Anna steigt aus dem Optikergeschäft aus. Offiziell wandern sie nach Australien aus, lösen ihr Bankkonto auf, heben die Ersparnisse ab und verkaufen das Auto. Anna bestellt bei einem Feinkosthändler reichlich Speisen und Getränke für das letzte gemeinsame Essen. Es läuft alles fast wortlos ab, der Plan ist gefasst und wird konsequent durchgezogen.

Die Familie beginnt mit der Zerstörung ihres bisherigen Lebens und das beinhaltet wirklich alles. Die Einrichtung, die Kleidung, die Bilder, sämtliches Mobiliar wird zerstört. Nichts soll übrig bleiben, nichts soll an sie erinnern. Diese Konsequenz lässt einem schon den Atem stocken. Sogar das riesige Aquarium im Wohnzimmer wird zertrümmert, was zumindest bei der Tochter zu Tränen führt, als die Fische auf dem Boden sterben. Zuletzt wird das gesamte Bargeld zerrissen und in die Toilette gespült.

Zum Schluss legt sich die Familie ins Schlafzimmer und vergiftet sich mit angehäuften Medikamenten selbst. Erst stirbt Eva, dann Anna und Georg schreibt den Zeitpunkt ihres Todes an die Wand, dann vergiftet er auch sich.

Es bleibt die Frage nach dem "Warum", die Haneke aber nicht beantwortet, sondern den Zuschauer allein zurücklässt, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Warum diese Familie beschlossen hat, aus dem Leben zu scheiden, kann nur spekuliert werden. Sind sie verzweifelt am alltäglichen Horror, an der immer gleichen Routine? Was tut man, wenn einfach alles zu viel wird, wenn das Leben zur Qual wird? Kann man sie nicht auch verstehen, hat nicht beinahe jeder von uns schon einmal ähnliche Gedanken gehabt? Sicher nicht unbedingt in diesem Ausmaß, aber so fremd wie es scheint, ist es nicht. Bleibt zu hoffen, die eigenen Probleme mit sich und der Welt anders lösen zu können. Michael Haneke hat hier einen sehr schmerzhaften Film geschaffen, der sehr nachdenklich macht und das macht ihn sehenswert, wenn auch nicht gerade für schwache Gemüter.

Wie Michael Haneke im anschließenden Interview erzählt, gab es die wütendsten Proteste übrigens bei der Vernichtung des Geldes und nicht beispielsweise bei dem Mord an der Tochter. Das lässt ja auch tief blicken...

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