"Warum läuft Herr R. Amok?" ist ein Film aus dem Jahr 1970. Regie führten hier Michael Fengler und Rainer Werner Fassbinder.
Herr R. (Kurt Raab) führt ein scheinbar normales bürgerliches Leben. Er ist verheiratet, hat einen kleinen Sohn und lebt in einer hübschen kleinen Wohnung. Er arbeitet als technischer Zeichner in einem Architekturbüro und hofft insgeheim auf eine Beförderung. Abends sitzt er mit seiner Frau zusammen im Wohnzimmer, man sieht fern oder unterhält sich. Am Wochenende kommen die Eltern zu Besuch, es gibt Kaffee und Kuchen, dann geht man gemeinsam spazieren. Herr R. sitzt immer ein wenig am Rande und wird oft einfach nicht wahrgenommen. Er ist meistens still, während die anderen pausenlos plappern, seine Frau, die Nachbarn oder auch die Eltern.
Doch so friedlich, wie es den Anschein hat, ist es hier nicht. Herr R. fühlt sich überfordert. Sein Chef ist nicht zufrieden mit ihm, die Beförderung rückt in weite Ferne, mit seinen Kollegen verbindet ihn auch nichts. Seine Frau plant schon den Umzug in eine größere Wohnung und setzt Herrn R. damit nur weiter unter Druck. Sein Sohn hat Schwierigkeiten in der Schule, weil er zu unkonzentriert ist. Das traute Familienleben zeigt Risse. Herr R. fühlt sich unverstanden und kann es doch nicht zeigen und in Worte fassen. Die Fassade wird aufrecht erhalten. Sein Arzt, dem er von häufigen Kopfschmerzen erzählt, empfiehlt ihm nur das Rauchen aufzugeben und einen Erholungsurlaub zu machen. Dann würde schon alles besser werden.
Eines Abends ist eine Nachbarin zu Besuch, die sich lautstark mit seiner Frau unterhält, während Herr R. versucht, eine Fernsehsendung zu verfolgen. Die beiden nehmen keinerlei Notiz von ihm und plötzlich nimmt Herr R. einen schweren Kerzenleuchter zur Hand und erschlägt erst die Nachbarin, dann seine Frau und anschließend den schlafenden Sohn. Am nächsten Tag geht er wie gewohnt zur Arbeit, aber als die Polizei auftaucht und nach ihm fragt, findet man ihn in der Toilette vor. Er hat sich erhängt.
Das ist ein Film, der extrem unter die Haut geht und Schmerzen verursacht. Die scheinbar banale Welt des Herrn R. ist ein Teufelskreis aus dem es anscheinend nur den einen Ausweg gibt. Die ständigen Unterhaltungen der anwesenden Personen, die vordergründig so freundlich und nichtssagend erscheinen, aber unterschwellig doch nur ewige Vorwürfe beinhalten, all das ist irgendwann für Herrn R. zu viel. Das festgefahrene Leben, die Angst vor dem Versagen und vor dem Stillstand, die stillen Vorhaltungen der Ehefrau und des Chefs, machen aus Herrn R. einen Mann, der nicht anders zu reagieren weiß, als einmal seine Wut rauszulassen und dann auch seinem Leben ein Ende zu setzen. Erschreckend banal, aber ebenso erschreckend realistisch. Es macht keinen Spaß sich diesen Film anzuschauen, aber er packt einen direkt an der Gurgel und zwingt zum Ansehen und Nachdenken.
Die Darstellung von Kurt Raab ist sehr intensiv und glaubwürdig, er spielt nicht, er IST Herr R. Die Schauspieler improvisieren die meiste Zeit, dadurch wirkt der Film fast dokumentarisch. Der Ton ist nicht so besonders gut, viele der Gespräche kann man nicht verfolgen, aber es wird sowieso nichts Wichtiges gesagt. Es werden nur Banalitäten ausgetauscht. Wer verstehen will, warum ein Mensch aus scheinbar nichtigen Motiven ausrastet, dem sei dieser außergewöhnliche Film ans Herz gelegt. Sehr schmerzhaft, aber sehr empfehlenswert.
Traurige Anmerkung am Rande: Kurt Raab ist 1988 im Hamburger Tropeninstitut unter ziemlich unwürdigen Umständen an Aids gestorben. Seine bayerische Heimatgemeinde hat ihm eine Erdbestattung verweigert, weil man den dortigen Friedhof "virenfrei" halten wollte. Er wurde auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf begraben.
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